Polizeiautos hinter Absperrband

Die Blutspur
des Attentäters

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Die Horrornacht. Die „Krone" zeichnet die grauenhaften Ereignisse vom 2. November 2020 nach. Als ein IS-Terrorist in der Wiener Innenstadt vier Menschen getötet und Dutzende weitere - zum Teil schwer - verletzt hat. Wir rekonstruieren die entsetzlichen Details des abscheulichen Verbrechens.

Attentäter Kujtim Fejzulai

Foto: zVg

2. November 2020

Es war kurz vor 19 Uhr, als Kujtim F. seine Gemeindewohnung in Wien-Donaustadt verließ, um dann schnellen Schrittes Richtung Innenstadt zu gehen. Denn dort wollte er endlich seinen schrecklichen Plan in die Realität umsetzen: so viele Menschen wie möglich töten. In seinem unendlichen Hass gegen den österreichischen Staat, gegen die Gesellschaft, überhaupt – gegen die westliche Welt.

Um 19.26 Uhr, kurz, bevor der 20-Jährige – seit Langem den Staatsschützern als Mitglied der radikal-islamistischen Szene bekannt – an seinem Zielort ankam, postete er auf Facebook und Instagram ein Bild von sich. Mit einer Machete und jenen Schusswaffen in den Händen, die er gleich bei seiner Gräueltat verwenden würde. Wenige Minuten später, am Schwedenplatz angekommen, warf er sein auf Werkseinstellungen zurückgestelltes Handy in einen Mülleimer und zog sich in den Eingangsbereich eines geschlossenen Hotels zurück. Wo er seine Jacke auszog und sein Sturmgewehr der Marke Zastava zusammenbaute.

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Jerusalemstiege

Jerusalemstiege

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Dann ging der Terrorist zur Jerusalemstiege. Eine Gruppe junger Menschen stand dort; sie rauchten, sie plauderten miteinander. Kujtim F. feuerte auf sie los. Der 21-jährige Nedjip V., ein gelernter Maler, wurde von zwei Kugeln tödlich getroffen.

Bild vom erstem Opfer

Foto: zVg

Nedjip V.

1. Todesopfer

Anführungszeichen Rot

„Wie wir erst im Vorjahr erfahren haben, hatte sich mein Neffe schützend über ein neben ihm stehendes 16-jähriges Mädchen geworfen und es dadurch vor dem Tod bewahrt.“

Eugen K.,

Onkel des Opfers

Der seelische Zustand der Hinterbliebenen des Niederösterreichers ist dramatisch: „Besonders der seiner Mama", so Eugen K., „sie ist nun eine gebrochene Frau. Durch Nedjips Tod wurde ihr der Boden unter den Füßen weggezogen, sie fiel danach in ein tiefes seelisches Loch. Aus dem es für sie keinen Ausweg mehr geben kann.“

Nedjip V.s Onkel

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Jerusalemstiege

Desider-Friedmann-Platz

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Ein Schwerverletzter

Jetzt begann der Attentäter zu laufen und wild um sich zu schießen. Kevin B. (29), der mit seiner Freundin am Desider-Friedmann-Platz unterwegs war, wurde von einer Kugel getroffen. Am Finger - dieser musste später teilweise amputiert werden.

Anführungszeichen Rot

„Ich kann nur hoffen, dass sich die Fehler, die im Vorfeld begangen wurden, kein zweites Mal wiederholen und die richtigen Konsequenzen aus den behördlichen Versäumnissen gezogen werden.“

Kevin B.,

Ein Verletzter

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Schanigarten

Judengasse, Ecke Ruprechtskirche

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Schusssalven im Gastgarten

Der 2. November 2020 – der Tag vor dem zweiten Corona-Lockdown; den viele Menschen nutzten, um auszugehen. Für die Jahreszeit war es ungewöhnlich warm, sogar die Schanigärten waren voll mit Besuchern. Einer davon - in der Judengasse, an der Ecke zur Ruprechtskirche - wurde zu Kujtim F.s nächstem großen Angriffspunkt. Insgesamt acht Menschen wurden dort durch Querschläger und Splitter verletzt.

Anführungszeichen Rot

„Die Todesangst von damals hat mich verändert und es ist nicht leicht, weiterhin an das Gute im Menschen zu glauben. Die Anteilnahme aus der Gesellschaft und einige der Symbole waren tröstend für mich, zum Beispiel die Blumen in der Hauswand, in der sich die Einschusslöcher der Kugeln befanden."

Eine Betroffene

erinnert sich

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Salzamt

Restaurant Salzamt

Foto: Reinhard Holl

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Der Tod einer jungen Frau

Auf Höhe der Judengasse 9 gab Kujtim F. drei weitere Schüsse in Richtung Ruprechtsplatz ab. Die Kunststudentin Vanessa P. (25) wurde im Hals-Nacken-Bereich getroffen und verstarb.

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Ruprechtskirche

Ruprechtskirche

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Neue Munition

Bei der Ruprechtskirche angekommen, versuchte der Terrorist in den Vorhof des Gebäudes zu gelangen, doch das Tor war verschlossen. Daraufhin zog er sich in die Eingangsnische eines geschlossenen Lokals zurück, um das Magazin seines Sturmgewehrs nachzuladen.

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Jerusalemstiege

Ruprechtsstiege

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Panik und Angst

Mit neu geladener Zastava lief Kujtim F. in Richtung Rabensteig, wo er abermals Schüsse abgab, seine „Zielobjekte“ - Menschen - jedoch verfehlte.

Anführungszeichen Rot

„Ich meide den Ort des Attentats und kann auch zu keinen Gedenkfeiern gehen. Die Bilder und Gefühle sind noch zu gegenwärtig und klar. Ich gedenke auch nicht, denn ich denke jeden Tag daran. Das Attentat hat mich verändert. Aber ich bin dankbar, noch hier zu sein, und trauere um jene, die es nicht mehr sind.“

Eine Zeugin

der Horror-Tat

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Seitenstättengasse

Seitenstettengasse

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Die Hinrichtung

Der Attentäter lief weiter. In der Seitenstettengasse fand er ein neues Opfer. Gudrun S. (44), eine Managerin - die in ihrer Angst noch in der Nische eines Lokalfensters Schutz suchte. Vergeblich: Die Frau wurde von drei Kugeln getroffen, sie sackte blutüberströmt zu Boden.

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Krah Krah

KrahKrah

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Noch ein Blutbad

Das nächste Ziel des Fundamentalisten war der Schanigarten des Lokals KrahKrah, wo sieben Menschen verletzt wurden.

Anführungszeichen Rot

„Was mir am meisten in Erinnerung geblieben ist, war eine Situation im Spital, drei Stunden nach dem Attentat. Ich wollte, dass mein Vater mir in diesen Momenten beisteht, aber er durfte wegen der Corona-Maßnahmen nicht kommen. Ich war ganz alleine und es kam eine ungeheure Hilflosigkeit in mir auf.“

Ein Opfer

des Anschlags

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Jerusalemstiege

Seitenstettengasse

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Der Waffenwechsel

Dann wechselte der Terrorist die Richtung und die Waffe. Statt dem Sturmgewehr nahm er nun seine im Hosenbund verstaute Pistole zur Hand. Und feuerte damit im Vorbeilaufen noch einmal auf die bereits zu Boden gestreckte Gudrun S., die später im Krankenhaus ihren schweren Verletzungen erlag.

Bild vom drittem Opfer

Foto: Naturbestattung GmbH

Gudrun S. (44)

3. Todesopfer

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Jerusalemstiege

Kaktus-bar

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Traumatische Erlebnisse

Noch einmal drehte Kujtim F. um und munitionierte im Eingangsbereich eines Lokals abermals sein Sturmgewehr. Nach dem Neuladen startete der Attentäter eine Attacke in Richtung der Kaktus-Bar. Weil er versehentlich den Dauerfeuer-Modus umgestellt hatte, gab er diesmal nur einen einzigen Schuss ab, der sein Ziel verfehlte.

Anführungszeichen Rot

„Manchmal steige ich aus dem Bus aus, weil ich Angst habe, dass jemand, der eingestiegen ist, ein Terrorist sein könnte.“

Ein Tatzeuge

über sein Trauma

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Bin Ramen

Bin Ramen

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Der vierte Mord

Bevor der Islamist vom Rabensteig links in Richtung Franz-Josefs-Kai abbog, sah er beim Eingang des Lokals Bin Ramen Qiang Li, den Besitzer des Restaurants, der gerade die Glastür von innen versperren wollte. Siebenmal feuerte Kujtim F. auf den wehrlosen Mann, er hatte keine Überlebenschance. Auch eine seiner Mitarbeiterinnen wurde an Arm und Schulter getroffen.

Eingeschossene Tür Bin Ramen

Foto: EXPA/Florian Schroetter

Bild vom vierten Opfer

Foto: zVg

Qiang Li

4. Todesopfer

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„Meine Mama verkraftet einfach nicht, dass mein Papa nicht mehr da ist. Seit seinem Tod leidet sie an schweren Depressionen. Sie liegt mittlerweile die meiste Zeit des Tages nur noch still in ihrem Schlafzimmer; sie schafft es nicht einmal mehr, sich selbst Essen zuzubereiten.“

Kexin Xia,

Tochter des Getöteten

Qiang Li.s älteste Tochter

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Abgang Tiefgarage Schwedenplatz

Abgang Tiefgarage Schwedenplatz

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Ein Polizist angeschossen

In der Folge lud der Mörder seine Zastava beim Abgang zur Tiefgarage Schwedenplatz noch einmal. Hier trafen zwei Polizisten auf ihn und forderten ihn zum Stehenbleiben auf. Der Attentäter eröffnete das Feuer auf die beiden Beamten. Inspektor Stefan S. wurde dabei am Oberschenkel getroffen. Kujtim F. flüchtete.

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Ruprechtsplatz

Ruprechtsplatz

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Der Tod des Terroristen

Um 20.08 Uhr wurde der Islamist am Ruprechtsplatz durch Schüsse eines WEGA-Beamten tödlich getroffen.

Bild vom erstem Opfer
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Ruprechtsplatz

Wiener Landesgericht

Foto: Gerhard Bartel

Angeklagt: Sechs mutmassliche Mittäter

Am 18. Oktober startete im Großen Schwurgerichtssaal des Wiener Landesgerichts der Prozess zu dem Terroranschlag vom 2. November 2020. Bei dem vier Menschen getötet und 23 - zum Teil schwer - verletzt wurden. Kujtim F. ist nicht mehr am Leben; sechs Männer, die ihm bei der Planung und der Beschaffung der Waffen geholfen haben sollen, sind nun angeklagt. Ihnen drohen – im Falle von Verurteilungen – langjährige Haftstrafen, teilweise sogar lebenslange.

Anwalt Karl Newole

Foto: Ricardo Herrgott

Karl Newole

Opferanwalt

Anführungszeichen Rot

„Ich habe vielen Betroffenen bei der Beantragung von Schmerzensgeld und von Zahlungen aus dem Opferfond geholfen. Aber natürlich können finanzielle Entschädigungen immer nur Existenzprobleme, doch nicht seelisches Leid lindern.“

Karl Newole

Opferanwalt

Mathias Burger, der Anwalt von Nedjip V.s Familie

Gedenkstein am Desider-Friedmann-Platz

Foto: Wolfgang Spitzbart

2021 wurde am Desider-Friedmann-Platz ein Gedenkstein für die Opfer des Terroranschlags errichtet. Bis heute legen dort immer wieder Menschen Blumen nieder oder zünden Grabkerzen an.

Text: Martina Prewein, Anja Richter
Fotos und Videos: Andi Schiel
Visualisierung: Krone KREATIV
Art-Direction: Barbara Mungenast