Faszinierende Einblicke in das von Krebs befallene Gehirn
Gehirntumor - eine Diagnose, die schockiert. Bis zu 2000 Österreicher erhalten pro Jahr die Nachricht, an so einer „intrakraniellen Geschwulst“ zu leiden. Bei über der Hälfte handelt es sich um bösartige Tumore. Es gibt Krebsarten, die direkt im Kopf wachsen, also im Gehirn, an den Hirnhäuten oder in den Gehirnanhangdrüsen. Die meisten stellen jedoch Metastasen (Tochtergewächse) von Tumoren anderer Körperregionen dar. Fest steht zum „Welttag der Gehirntumore“ am 8. Juni: Kopftumore im Erwachsenenalter nehmen weltweit zu. Vorsicht, wer keinen Blick ins Gehirn werfen will, sollte nicht weiterlesen...
Kommt so eine Krankheit für den Betroffenen einem Todesurteil gleich? Nein. Die Art des Tumors entscheidet darüber, ob und wie gezielt behandelt werden kann. Für viele Gewächse ist heute sogar eine Heilung möglich. Der Therapie oft als Basis zugrunde liegt eine Operation, um die Geschwulst zu entfernen oder zu verkleinern. Die „Krone“ hat dem Neurochirurgen Prim. Dr. Camillo Sherif vom Universitätsklinikum St. Pölten bei so einem anspruchsvollen Eingriff über die Schulter geschaut.
„Wodurch hirneigene Tumore ausgelöst werden, ist nicht sicher bekannt“, so Prim. Sherif. „Wir kennen mehr als 100 Gewebearten, die im Kopf wachsen können. Bösartige Tumore können sich sehr schnell vergrößern, gutartige aber auch sehr langsam. Die Therapie wird daher individuell auf den Patienten abgestimmt.“
Video: krone.tv
Verschiedene Behandlungsmöglichkeiten
Grundsätzlich muss man nicht alle Tumore in dieser Region operieren, behandelt wird ebenfalls mit Bestrahlung oder medikamentösen Therapien (auch nach einer etwaigen OP). „Das Ziel eines Eingriffs ist es, die Tumormasse zu verkleinern oder diesen komplett zu entfernen, um damit auch die Last der tumorösen Zellen zu reduzieren. Gleichzeitig verringert sich dadurch sein Wachstum. Bei einigen Tumoren kann das Gewebe auch nicht zu 100 Prozent entfernt werden, da einzelne Zellen bereits in das umgebende Gehirn eingewandert sind“, erklärt der Experte.
Ungenaue Anzeichen
Kann man erkennen, ob ein Gehirntumor vorliegt? Da der Tumor dem Gehirn Raum wegnimmt, verdrängt er wichtige Strukturen. „Es zeigen sich dann mitunter Anzeichen wie Seh- sowie Sprachstörungen, Kopfschmerzen, neurologische Ausfälle, Wesensveränderungen etc.“, so der Neurochirurg. Aber auch ein erstmaliger epileptischer Anfall kann ein Hinweis sein. Wächst der Tumor schnell, entsteht auch rasch ein hoher Druck im Kopf mit Minderung des Wachheitszustandes oder Symptomen wie bei einem Schlaganfall.
Krone Redakteurin Eva Greil-Schähs im Gespräch mit Prim. Dr. Camillo Sherif.
Foto: Reinhard Holl
OP-Besprechung
Prim. Camillo Sherif operiert heute einen 81-jährigen Mann, der einen beinahe faustgroßen Tumor im rechten vorderen Schädel aufweist. Der Arzt erklärt der GESUND-Redakteurin Eva Greil-Schähs den Eingriff.
Foto: Reinhard Holl
Intelligente Software als Navigationssystem
Den Ärzten sehr nützlich ist ein modernes Softwaresystem. Es zeigt bei der Operation auf wenige Millimeter genau an, wo der Tumor liegt und an welchen Gehirnregionen (z.B. Sprachzentrum) er angrenzt. Das hilft dem Chirurgen bei der genauen Entfernung und gleichzeitiger Schonung angrenzender Hirnregionen mit wichtigen Funktion (z.B. Bewegungsregion). Denn diese müssen geschont werden. Schließlich soll der Patient nachher sein Leben weiterhin gut meistern können. Funktionen wie etwa Sprache, geistige und körperliche Fähigkeiten müssen so gut wie möglich erhalten bleiben.
Foto: Reinhard Holl
Vorbereitung
Eine Operation beginnt schon lange bevor der Krebs entfernt wird. Neurochirurgin OA Dr. Elisabeth Kinn und das gesamte Team bereiten den Patienten vor. Überhaupt sind Eingriff und weitere Behandlung des Patienten Teamarbeit. Entscheidend beteiligt sind Spezialisten der Anästhesie, Neurologie, Pathologie und Radiologie sowie spezialisierte Pflegekräfte all dieser Disziplinen. Schlüssel des Erfolges ist deren gute Kommunikation.
Foto: Reinhard Holl
Der Kopf wird eröffnet
Zunächst wird ein Hautschnitt gesetzt, die Haut aufgespannt. Die zu bohrenden Areale werden angezeichnet. Dabei hilft die Navigationssoftware, die via Computerprogramm stets anzeigt, wo genau sich das Gewächs befindet. Dann wird die Schädeldecke mit einem Präzisionsbohrer eröffnet. Nun heben die Spezialisten jenen Teil der Schädeldecke über dem Tumor ab.
Foto: Reinhard Holl
Foto: Reinhard Holl
Foto: Reinhard Holl
Ein Blick ins Gehirn
Die harte Hirnhaut wird eröffnet und „zur Seite geklappt“. Jetzt sieht man auf die Gehirnoberfläche. Der Neurochirurg kann mit der Entfernung des Tumors beginnen. Im ganzen Raum sind Monitore aufgehängt, damit alle Beteiligten jeden Schritt der Operation genau verfolgen können. Ab diesem Zeitpunkt erfolgt der Eingriff unter dem Mikroskop.
Foto: Reinhard Holl
Der Tumor leuchtet pink
Einige Stunden vor der Operation wird dem Patienten ein fluoreszierendes Medikament verabreicht. Dieses reichert sich in manchen Tumorgewebsarten an. Unter Infrarotlicht leuchten diese Zellen dann pink auf. Das hilft dem Chirurgen, gesundes von tumorösem Gewebe zu unterscheiden. Ebenfalls kann mit der Navigationssoftware die Tumorgrenze in das mikroskopische Bild eingeblendet werden.
Foto: Reinhard Holl
Zellen werden abgesaugt
Prim. Sherif (li.) und OA Kinn entfernen unter Infrarotlicht mittels Ultraschallzerstäuber die Geschwulst. Bösartiges Gewebe ist dabei selten abgekapselt, sondern meist ins Gehirn einwachsend. Dementsprechend muss diese Arbeit sehr exakt erfolgen und verlangt eine ruhige Hand. Kleinste Abweichungen haben ansonsten dramatische Folgen. Daher werden diese Schritte immer unter einem Operationsmikroskop durchgeführt.
Foto: Reinhard Holl
Neurologische Funktions-Tests
Während der Chirurg den Tumor entfernt, werden die Bewegungs- und Gefühlsbahnen des Patienten regelmäßig auf erhaltene Funktion kontrolliert. Die Neurochirurgin Dr. Romana Prihoda überprüft dies im Rahmen des Neuromonitorings. Zusätzlich kann der Chirurg fragliches Gewebe mit einer feinen Sonde direkt elektrisch erregen und so sehr exakt feststellen, wie nahe er mit der Tumorentfernung bereits an funktionell wichtige Regionen gekommen ist (z.B. an Bewegungsareale). Dann wird in diesem Bereich nichts mehr entfernt und etwa eine Lähmung des Patienten vermieden. Die Experten müssen hierbei ständig Nutzen der Tumorentfernung gegen Risiko eines bleibenden Schadens (z.B. Lähmung) abwägen. Bei Personen mit Tumoren in der Sprachregion kann auch eine Operation am wachen Gehirn durchgeführt werden, da die Sprachfunktionen beim schlafenden Patienten nicht testbar sind. In diesem Fall war das nicht notwendig.
Foto: Reinhard Holl
„Loch“ im Gehirn
Die anspruchsvolle Operation dauert bereits Stunden. Statt des schnell gewachsenen Tumors zeigt sich ein Krater im Kopf des Patienten. Diese Lücke füllt der Organismus relativ rasch wieder selbst auf, einerseits mit Hirnflüssigkeit, andererseits nimmt das Gehirn seinen Raum wieder ein.
Foto: Reinhard Holl
Der Tumor wird untersucht
Ist erstes bösartige Gewebe entfernt, wird es vom Neuropathologen OA Dr. Mario Dorostkar aus dem OP direkt in die pathologische Abteilung gebracht, um noch während der Operation möglichst viele Details über Art und Struktur des Tumors in Erfahrung zu bringen. So lässt sich im weiteren Verlauf von einem Expertenteam die bestmögliche Behandlung bestimmen. Ebenfalls werden Teile der Geschwulst im Rahmen einer Studie direkt aus dem OP sofort in ein externes Speziallabor transportiert. Dort wird es hinsichtlich des Ansprechens auf bestimmte Medikamente analysiert. Künftig soll für jeden einzelnen Tumor das bestmögliche Medikament verabreicht werden – Stichwort „individualisierte Medizin“.
Foto: Reinhard Holl
Ab ins MRT!
Noch während des Eingriffs bringt man den Patienten gegenüber ins MRT. Die Magnetresonanztomographie wird durchgeführt, um zu sehen wie viel vom Tumor entfernt wurde. Sollte ein relevanter Rest verblieben sein, kann dieser noch im selben Eingriff entfernt werden.
Foto: Reinhard Holl
Der Eingriff ist geglückt
Bei unserem Patienten wurde alles bis auf einen kleinen Rest entfernt. Dieser musste im Kopf verbleiben. Denn während der OP vermeldete an dieser Stelle bereits das Neuromonitoring, dass ein Verlust der Bewegungsfunktionen droht. Nach der Operation kam der Mann zur Überwachung auf die Intensivstation. Am darauffolgenden Tag wurde er wieder auf die neurochirurgische Station zurückverlegt.
Nach Vorliegen des definitiven Gewebsbefundes wurde von einem Expertengremium, dem sogenannten Tumorboard, die für den Patienten am besten geeignete Weiterbehandlung ausgesucht. Er erhält nun Strahlen- und Chemotherapie.
Foto: LKH St. Pölten/Sherif
Prim. Sherif: „Dem Patienten geht es ausgezeichnet. Er hat keinerlei Einbußen davongetragen. Er spricht, bewegt alles und ist in allen Belangen des täglichen Lebens selbständig. Nach einer Woche durfte er trotz seines hohen Alters bereits wieder nach Hause gehen.“
Krone Gesund:
Eva Greil-Schähs
Online-Umsetzung Storytelling-Desk:
Barbara Mungenast (Projektleitung, Art-Direction), Michael Chvatal (Design)